Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, wurde 2004 mit dem Ziel gegründet, die Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Länder beim Schutz der Außengrenzen des EU-Raums des freien Verkehrs zu unterstützen. Als EU-Agentur wird Frontex aus dem EU-Haushalt und durch Beiträge der assoziierten Schengen-Länder finanziert. (Frontex o.J.)
Zudem wurde Frontex zur Unterstützung der operativen Zusammenarbeit an den Land-, Luft- und Seegrenzen der EU gegründet. Frontex soll als Instrument dienen, irreguläre Migration einzudämmen bzw. zu stoppen. Neben der Kontrolle irregulärer Migration ist ein weiteres Ziel, die grenzüberschreitende Kriminalität zu beschränken. Zur besseren Sicherung der Außengrenzen wurden die Zuständigkeiten in sechs Kategorien eingeteilt (vgl. Brandscheidt 2011, 7). Diese sind:
- Risikoanalyse, d.h. tägliche Beobachtung der Situation an den EU-Außengrenzen
- Koordination von operativen Kooperationen der Mitgliedsstaaten bezüglich des Grenzmanagements
- Assistenz beim Training der Grenzwächter und Durchsetzung gleicher Ausbildungsstandards
- Weiterentwicklung der Forschung, die für die Überwachung und Kontrolle der Außengrenzen relevant ist
- Unterstützung der Mitgliedsstaaten in Situationen, die eine erhöhte technische und operationale Unterstützung an den Außengrenzen verlangt
- Versorgung der Mitgliedsstaaten mit notwendiger Unterstützung bei der Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen (ebd.)
Wichtig zu erwähnen ist, dass Frontex keine eigenständige Grenzschutzpolizei, sondern lediglich eine Agentur ist, die der Harmonisierung und fortschreitenden Weiterentwicklung des europäisierten Grenzschutzes dienen soll. Frontex koordiniert die Zusammenarbeit von gemeinsamen Operationen der Mitgliedsstaaten und erarbeitet Risikoanalysen, welche bei den Operationen unterstützen sollen. Das Durchführen der Operationen selbst verbleibt jedoch bei den Mitgliedsstaaten (vgl. Wierse 2009).
Im Vordergrund der von Frontex durchgeführten Operationen stehen die sogenannten Interception- oder Detection-Measures, eng Abfang- oder Aufdeckmaßnahmen (vgl. Löhr 2010, 41f).
Frontex spricht vom Abfangen und Eskortieren, vom Abfangen und Umleiten oder von der Hinderung an der Abfahrt beim Verlassen der Heimathäfen. […] Meist, so offizielle Frontex-Verlautbarungen, stehe die Aufforderung zur freiwilligen Umkehr im Vordergrund. (ebd.)
Eine Zusammenstellung von Personal, das schnell wieder für Ordnung sorgen soll, wird in diesem Zusammenhang RABITS (Rapid Border Intervention Teams) genannt. Die Befugnis solche Teams zu bilden, erhielt Frontex im Jahr 2007. Diese Teams sollen sich bilden, wenn viele Migrierende an einem bestimmten Punkt die Außengrenzen erreichen (vgl. ebd.).
Für die Europäische Grenzsicherungspolitik hat die Sicherheit der Europäischen Bürger*innen Priorität und die schutzbedürftigen Menschen werden in diesem Kontext als Bedrohung angesehen. Mit Frontex wurden im Mittelmeer Grenzpunkte geschaffen. Außerdem stehen die Grenzkontrollen im Fokus der Europäischen Abschottungspolitik (vgl. Bükers o.J., 105).
In den letzten Jahren wurde Frontex immer weiter ausgebaut und gestärkt, um vermehrt Operationen auf Europäischer Ebene durchführen zu können, die das Abfangen und Zurückbegleiten der Migrierenden zum Ziel haben. Dem Ausbau des Grenzschutzes, besonders an den südlichen Seeaußengrenzen, wird ein hoher Stellenwert beigemessen (vgl. Lisson/Weinzierl 2007).
Einsätze von Frontex zur verstärkten Grenzsicherung oder der Unterstützung von Rückführungsaktionen sind meist zeitlich begrenzt, können aber auch als Blockade verstanden werden. Denn die Missionen von Frontex dienen dem Ziel, konsequent undichte Stellen abzudichten, an denen Menschen versuchen nach Europa zu gelangen. Die Migrationsströme können jedoch nicht vollständig zum Erliegen gebracht werden, sondern führen dazu, dass andere Stellen an den Außengrenzen gefunden werden, die zu erneuten Durchflüssen führen (vgl. Bükers o.J., 101).
Durch diese Regulierung und die beabsichtigte temporäre Blockierung des Zustroms von Menschen versuchen diese Blockaden den Migrationsstrom zu steuern. Der Migrationsstrom wird jedoch meist durch diese Blockaden nicht wirksam gestoppt, sondern lediglich umgelenkt. (ebd.)
Durch das verstärkte Patrouillieren von Frontex verlagern sich die ohnehin schon gefährlichen Migrationsrouten über das Mittelmeer, sodass die Überfahrten zunehmend länger und riskanter werden und eine immer größere Gefahr für das Leben der Migrant*innen darstellen (vgl. Löhr 2010, 38). Viele der Boote, mit denen die Menschen sich auf den Weg nach Europa machen, sind nicht für die Menge an Personen gebaut, sind seeuntüchtig, überladen und haben nicht ausreichend bis keine Seenotrettungsmittel an Bord, ganz abgesehen von genügend Verpflegung und Erste-Hilfe-Ausrüstung.
Das Vorgehen von Frontex hat zur Folge, dass den Schutzbedürftigen überwiegend die Möglichkeit genommen wird, Asylanträge in Europa zu stellen. Die Problematik besteht darin, dass beim Vorgehen von Frontex, irreguläre Migration aufzuhalten, keine Prüfung erfolgt, ob sich unter den Zurückgedrängten Geflüchtete befinden, welche Anspruch auf Schutz in Europa hätten, weil sie beispielsweise vor Verfolgung aus ihrem Heimatland fliehen (vgl. Wierse 2009)
,,Nach Angaben vom UNHCR beantragen etwa 70% der Personen, die Malta über das Mittelmeer erreichen, dort Asyl und knapp die Hälfte wird als schutzbedürftig anerkannt“ (ebd.). Durch die Flucht nach Europa über irreguläre Routen ergibt sich ein stark erhöhter Anteil von potenziell anerkannt werdenden Flüchtlingen, da es kaum legale Routen gibt.
An unknown number of men, woman and children are- without any examination of their need for international protection – intercepted, diverted, or towed back to third countries. They are detained under inhuman and degrading conditions, abandoned in the desert of otherwise left alone without any support. Some are also deported to fourth countries where they face a risk of torture or degrading or inhuman treatment.“ (Weinzierl 2008, 3)
Besonders aus der menschenrechtlichen Perspektive ist die Zusammenarbeit zwischen der EU und sogenannten Drittstaaten als problematisch zu werten. Denn die Schutzsuchenden werden in diese faktisch unsicheren Drittstaaten wie Libyen oder Marokko zurückgeschickt (vgl. Haase/Jugl 2007). ,,Mit Blick auf Libyen spricht das Auswärtige Amt laut Medienberichten von ,,allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen“ und ,,KZ ähnlichen Verhältnisse(n)“ in Flüchtlingslagern“ (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2017, 16)
Darüber hinaus gewinnt das Geschäft der Schlepper an Bedeutung, welche sich auf die sich verändernde Situationen einstellen und sich die Pflicht der Seenotrettung von Frontex und den involvierten Patrouillen zu Nutze machen. Doch genau dieser Pflicht kommen Frontex und die involvierten Mitgliedsländer der EU häufig nicht nach und somit werden die Migranten sowohl von Seiten der Grenzschützer als auch der Schlepper zunehmend verwundbarer. Die Leittragenden der zunehmenden Grenzsicherungspolitik und der Ausweitung der Frontex- Einsätze sind demnach nicht die Schlepper, sondern die Migranten selbst. (Bükers o.J., 107)
Stellvertretend für viele Operationen, wird nun auf die Operation Hermes von Frontex eingegangen, welche unter massiver öffentlicher Kritik gestanden hat und ebenfalls aus menschenrechtlicher Perspektive scharf kritisiert wurde. Besonders das sogenannte left-to-die-boat erlangte in diesem Zusammenhang großes Aufsehen. Das Boot ist im Jahr 2011 mit über 70 Menschen manövrierunfähig geworden.
Durch das Absetzen von mehreren Notrufen waren die italienischen und maltesischen Behörden sowie das NATO-Hauptquartier über den Seenotfall informiert. Doch aufgrund von Uneinigkeiten über die Zuständigkeit der Europäischen Behörden wurden die Menschen aus ihrer Seenot nicht gerettet. Das Boot wurde nach 15 Tagen zurück an die Lybische Küste gespült und lediglich elf der 70 Insassen konnten lebend gefunden werden und wurden in Libyen inhaftiert (vgl. Saracino 2015, 9/Heller/Pezanni 2015).
Diese Tragödie ist 11 Jahre her und stellt kein einmaliges Ereignis dar, sondern ist gängige Praxis im Mittelmeer geworden, wie die Daten folglich in Kapitel 4.1 zeigen. Neben den regelmäßig durchgeführten Push-Backs, welche gegen das Refoulement-Verbot verstoßen (siehe 3.2.1), zeigt eben dieses Beispiel auf, wie die rechtliche Grauzone im Mittelmeer genutzt wird, um die irreguläre Migration von Europas Grenzen abzuschotten. Aufgrund von ungeklärten Zuständigkeiten im zentralen Mittelmeer fühlt sich kein Land und keine Behörde verantwortlich für die Seenotrettung. Europa hat keine klaren Regelungen bezüglich des Menschenrechtsschutzes auf dem Mittelmeer getroffen. Aus diesem Grund kann Frontex weiterhin tätig sein während die Menschenrechtsorganisationen lauter werden, da es auf dem Mittelmeer zunehmend menschenrechtsfreie Zonen gibt. Doch auch ,,auf hoher See und auf Schiffen von Frontex-Verbänden (gelten) […] die Schutzstandards der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention“ (Kopp, o.J.).
Frontex selbst veröffentlicht ausschließlich Statistiken dazu, wie viele Personen abgehalten oder zurückgedrängt wurden. Es gibt keinerlei öffentliche Informationen darüber, wohin die Menschen gebracht wurden oder wie viele Personen Anträge auf internationalen Schutz gestellt haben (vgl. Weinzierl 2008, 3). Dies erschwert es enorm, Frontex zur Verantwortung zu ziehen, da die Menschenrechtsverstöße nicht dokumentiert werden. Auch wird Frontex bis heute nicht unabhängig beobachtet, auch wenn das von vielen Menschenrechtsorganisationen und NGOs gefordert wird, um Frontex zur Verantwortung ziehen zu können (vgl. ebd.).
Ein weiteres Problem ist, dass Berichten zufolge Migrant*innen, welche von Frontex zurückeskortiert wurden, festgenommen, misshandelt und in Nachbarländer abgeschoben oder ohne Verpflegung an der Grenze ausgesetzt wurden. So war es beispielsweise 2008 in Mauretanien (vgl. Kopp, o.J.). NGOs berichten außerdem von starken Menschenrechtsverletzungen von Frontex durch Misshandlungen und Foltermethoden von Seiten der Grenzpostenoffiziellen (vgl. Weinzierl 2008, 3).
Auch werden Fälle dokumentiert, in denen es dazu kam, dass Folterpraktiken durch die griechische Küstenwache praktiziert wurden, um von den Flüchtlingen Aussagen über die Reisewege zu erpressen. Auch mangelnde medizinische Versorgung und Übergriffe auf die Migrierenden werden regelmäßig von Menschenrechtsorganisationen dokumentiert (vgl. Lisson/Weinzierl 2007, 20ff).
Der Haupteinsatzleiter der italienischen Küstenwache berichtete von Folgendem Befehl: Wir wurden […] mit Befehlen konfrontiert, laut denen die Abwehr der illegalen Einwanderer darin besteht, an Bord der Schiffe zu gehen und die Lebensmittel und den Treibstoff von Bord zu nehmen, sodass die Immigranten dann entweder unter diesen Bedingungen weiterfahren können oder aber lieber umkehren. (Löhr 2010, 42) Bereits im Jahr 2009 gesteht der Innenausschuss des Europäischen Parlamentes, dass es bei der Schaffung von Frontex zu einem Konstruktionsfehler gekommen sei. Die Schutz- und Menschenrechtsbelange müssen in das Mandat von Frontex integriert, und das Mandat somit überarbeitet werden (vgl. Kopp, o.J.).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es aufgrund des Mangels an handfesten Beweisen schwierig ist, Frontex Menschenrechtsverletzungen nachzuweisen. Jedoch kann resümiert werden, dass Frontex gegen das Refoulement-Verbot verstößt, da die Agentur beim Zurückweisen nicht überprüfen kann, ob auch Schutzbedürftige an Bord sind. Dieses Verhalten wiederum verstößt damit klar gegen die GFK.
Der Mangel an Beweisen entsteht hauptsächlich dadurch, dass die Agentur nicht von unabhängigen Stellen beobachtet wird und die Menschenrechtsverletzungen demnach nicht dokumentiert und öffentlich gemacht werden. Eine unabhängige Beobachtung von Frontex ist also unbedingt notwendig, um einerseits den Schutz von Menschen auf dem Mittelmeer zu gewährleisten, und andererseits, um mehr zu dieser Agentur forschen und veröffentlichen zu können. Diese Forschung ist unabdingbar, wenn Europa die Asyl-, Migrations- und Grenzsicherungspolitik nachhaltig verbessern möchte.
Europa spielt weltpolitisch gesehen eine große Rolle und hat somit eine Vorbildfunktion. Häufig prangert Europa in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten Menschenrechtsverletzungen an. Zur selben Zeit verletzt Europa selbst mit der Agentur Frontex die Menschenrechte an ihren eigenen Außengrenzen oder sieht über die Menschenrechtsverletzungen in sogenannten Drittstaaten hinweg, wenn dies sinnvoll für die Abschottung der Außengrenzen zu sein scheint. Europa verstößt durch Frontex systematisch gegen die Pflichten der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der GFK. Lösungen und Anforderungen, wie Europa zukünftig menschenrechtskonform ihre Asyl- und Migrationspolitik gestalten soll, bieten und fordern seit vielen Jahren unterschiedliche NGOs.